Ein Zentraler Text

Auszug aus der

Großen Lehrrede vom restlosen
Verlöschen des Buddha

Maha-Parinibbana-Sutta
 

Zu dieser Zeit hielt sich aber ein Wanderasket namens Subhadda in Kusinara auf und hörte: “Heute, in der letzten Wache der Nacht, wird der Asket Gotama vollständig von hinnen scheiden.” Und Subhadda dachte: “Ich habe doch von alten und betagten Wanderasketen, von meinen Lehrern und auch deren Lehrern sagen hören: ‘Selten einmal entstehen Pfadvollender, Heilige, vollkommen Erleuchtete in der Welt’. Und heute, in der letzten Wache der Nacht, soll das Hinscheiden des Asketen Gotama stattfinden. Auch ist mir noch ein bestimmter Zweifel aufgestiegen, und ich vertraue dem Asketen Gotama so sehr, daß ich glaube, er wird imstande sein, mir so die Lehre darzulegen, daß mir dieser Zweifel schwindet.”

Und Subhadda begab sich zum ehrwürdigen Ananda, trug ihm sein Anliegen vor und schloß mit den Worten: “Darum möchte ich den Asketen Gotama gern sehen.” Ananda aber antwortete ihm: “Sprich nicht weiter davon, Freund Subhadda, und belästige den Erhabenen nicht. Der Erhabene ist müde.”

Und dreimal wiederholte Subhadda seine Bitte und erhielt von Ananda eben dieselbe Antwort.

Der Erhabene aber hatte das Gespräch Anandas mit Subhadda angehört und sprach zu dem ehrwürdigen Ananda: “Laß es genug sein, o Ananda, halte den Subhadda nicht zurück und erlaube ihm nur, mich zu sehen. Wenn Subhadda mich etwas fragen will, so tut er es aus Wissensdurst und nicht, um mich zu belästigen. Auch wird er, was ich ihm auf seine Fragen erkläre, alsbald verstehen.”

Da sprach der ehrwürdige Ananda zu Subhadda: “Geh, Freund, der Erhabene läßt deinen Besuch zu.” Da trat Subhadda an den Erhabenen heran, verneigte sich, wechselte mit ihm die üblichen Begrüßungsworte, ließ sich etwas beiseite nieder und fragte dann den Erhabenen: “Haben denn alle die religiösen Führer, die eine Gemeinde oder eine Anzahl von Schülern um sich sammelten und als deren Lehrer tätig waren – alle die bekannten, berühmten und von vielen Leuten hochgeachteten Religionslehrer – die Erkenntnis gewonnen, wie sie es selbst vorgeben oder nicht? Oder haben einige sie gewonnen und andere nicht?”

Und der Erhabene sprach: “Wenn, o Subhadda, der edle achtgliedrige Pfad in einem Lehrgebäude nicht Platz hat, dann gibt es darin auch nicht die vier Grade von Weltflüchtigen, welche der Erlösung zustreben. In meinem Lehrgebäude hat der edle achtteilige Pfad seinen Platz und gibt es die vier Grade von Weltflüchtigen: den in den Strom der Erlösung Gelangten; den, der nur noch einmal ins Dasein zurückkehrt; den, der nicht mehr ins Dasein zurückkehrt; und endlich den Heiligen. Die anderen Religionslehren aber lehren nichts von den verschiedenen Graden der Weltflüchtigen; und die Welt müßte voll von Heiligen sein, wenn diese meine Mönche hier dem edlen Pfade nachwandeln würden.”

Darauf antwortete Subhadda dem Erhabenen: “Hervorragend, o Herr, ganz überwältigend. Es ist, wie wenn man etwas Niedergefallenes wieder aufstellt, etwas Verborgenes enthüllt, einem, der in die Irre gegangen ist, den Weg zeigt oder in der Dunkelheit eine Öllampe anbringt, damit die, welche Augen haben, sehen; so klar hat der Erhabene die Lehre nach jeder Richtung dargelegt. Darum nehme ich meine Zuflucht zu dem Erhabenen, zur Lehre und zur Gemeinde der Mönche. O könnte ich bei dem Erhabenen die Aufnahme in den Orden und die Mönchsweihe empfangen.”

“Wenn jemand, o Subhadda, früher einer fremden Glaubensgemeinschaft angehört hat und dann in meine Gemeinde aufgenommen werden will und die Weihe erhalten möchte, muß er eine Probezeit von vier Monaten auf sich nehmen. Wenn sich die Mönche dann dazu entschließen können, nehmen sie ihn auf und erteilen ihm die Weihe zum Mönchstum. Aber ich halte es für richtig, daß die besonderen persönlichen Verhältnisse dabei berücksichtigt werden.”

“Wenn es sich so verhält, o Herr, dann will ich eine Probezeit von vier Jahren auf mich nehmen, und dann mögen mich die Mönche in den Orden aufnehmen und mir die Weihe zum Mönchstum erteilen.”

Da sprach der Erhabene zu dem ehrwürdigen Ananda: “Nehmt den Subhadda sogleich in den Orden auf.” – “Ja, Herr,” antwortete der ehrwürdige Ananda. Subhadda aber sagte zu dem ehrwürdigen Ananda: “Es ist ein Vorzug, ein wunderbarer Vorzug, o Freund Ananda, daß ihr noch vom Meister persönlich zum Schüler geweiht seid.”

Damals sprach der Erhabene zum ehrwürdigen Ananda: “Es mag sein, o Ananda, daß euch folgender Gedanke kommt: ‘Nun hören wir die Worte unseres Lehrers nicht mehr, und haben nicht länger einen Meister’. Aber so, Ananda, sollt ihr nicht denken. Die Lehre und die Ordenszucht, in der ich euch unterwiesen und die ich euch gegeben habe, sollen nach meinem Dahinscheiden euer Meister sein.”

Und weiter sagte der Erhabene zu den Mönchen: “Es könnte nun sein, ihr Mönche, daß irgendeiner von euch einen Zweifel oder eine Unsicherheit in Hinsicht auf den Buddha, seine Lehre, seine Gemeinde, den Weg oder den Pfad besäße. Darum fragt, ihr Mönche, damit ihr euch nicht später von Reue erfüllt zu sagen braucht: ‘Als der Meister mitten unter uns war, da getrauten wir uns nicht, den Erhabenen persönlich zu befragen’.”

Auf diese Worte schwiegen die Mönche. Und ein zweites und ein drittes Mal sprach der Erhabene dieselben Worte, und auch beim drittenmal schwiegen die Mönche.

Da sprach der Erhabene: “Es könnte sein, ihr Mönche, daß ihr in ehrfürchtiger Zurückhaltung vor dem Meister ihn nicht fragt. Dann mag zunächst der Freund dem Freunde seine Bedenken mitteilen.” Doch auch darauf schwiegen die Mönche.

Da sagte der ehrwürdige Ananda zum Erhabenen: “Ein Wunder ist es, o Herr, und etwas ganz Besonderes. So klar ist es mir, daß in dieser Gemeinde der Mönche auch nicht ein einziger einen Zweifel oder eine Unsicherheit in Hinsicht auf den Buddha, seine Lehre, seine Gemeinde, den Weg oder den Pfad hat.” “Du sprichst so, Ananda, weil du es glaubst, der Pfadvollender aber weiß, daß es sich so verhält. Denn von den fünfhundert Mönchen hier ist auch der letzte in den Strom der Erlösung eingetreten, wird keiner mehr in eine üble Daseinsform gelangen, sieht jeder unverrückt in der Erleuchtung das höchste Ziel.”

Und dann sprach der Erhabene zu den Mönchen: “Nur noch eins, ihr Mönche, habe ich euch jetzt zu sagen: Vergänglich sind alle Formen des Daseins, müht euch, ohne abzulassen.”

Das war das letzte Wort des Vollendeten.

Dann durchlief der Erhabene nacheinander die vier Stufen der Versenkung. Von der vierten Stufe aus trat er in die Sphäre der Raumunendlichkeit ein, von hier aus in die Sphäre der Bewußtseinsunendlichkeit, dann in die Sphäre des Nichts, in die Sphäre jenseits von Bewußtsein und Nicht-Bewußtsein, und von hier aus erreichte er das Auslöschen von Bewußtsein und Empfindung.

Da sprach der ehrwürdige Ananda zu dem ehrwürdigen Anuruddha: “Der Erhabene ist in das Parinirvana eingegangen, o Anuruddha.” “Nein, Freund Ananda, der Erhabene ist noch nicht in das Parinirvana eingegangen, sondern hat nur das Aufhören von Bewußtsein und Empfindung erreicht.” Und der Erhabene durchlief nochmal in umgekehrter Reihenfolge alle die Sphären bis hinunter zur ersten Stufe der Versenkung. Von dieser aus erhob er sich dann wieder in die zweite, dritte und vierte Stufe, und von der vierten Stufe aus ging der Erhabene schließlich sogleich in das vollständige Nirvana ein.